Geschichte der Klangkunst / Einordnung de-symphonic

Sabine Sanio
de-symphonic | A symphonic soundscape,
eine symphonische Klanglandschaft im Landschaftspark Duisburg-Nord

Er war dem Geist der französischen Revolution verbunden, gilt als Begründer einer neuen musikalischen Expressivität und auch sonst als musikalischer Revolutionär – es gibt genug gute Gründe, Beethovens 250. Geburtstag mit einem neuen musikalischen Werk zu feiern, dessen Gattung und Form nicht nur der gefeierte Komponist selbst nicht kennen konnte, sondern die auch vielen heutigen Musikliebhaber*innen weitgehend unbekannt sind. de-symphonic, Werner Cees De-Komposition von Beethovens Pastorale ist eine ebenso exzellente wie außergewöhnliche Klangkunst-Komposition.

Es sind gleich mehrere zentrale Charakteristika, die de-symphonic als Klangkunst ausweisen, angefangen mit der Kombination von Klang, Licht und Farbe, über die Erkundung des öffentlichen Raums bis zu Verwendung moderner Audiotechnik. Unabhängig davon zeichnet sich de-symphonic besonders durch die ungewöhnliche Konstellation, in die sie Musik, Klang, Licht, Landschaft und Architektur bringt: Der fiktive Charakter von Beethovens Klangerzählung verwandelt sich in eine symphonische, aber durchaus reale Klanglandschaft, die der historischen Industriearchitektur des Landschaftsparks Duisburg Nord eine neuartige Atmosphäre verleiht.

Versucht man die Besonderheiten der Klangkunst zu benennen, wird man zunächst das weitgehende Fehlen allgemeiner Bestimmungen bemerken. Gerade diese Offenheit und Unbestimmtheit prägt den Charakter der Klangkunst als Möglichkeitsraum im Grenzgebiet von Musik und bildender Kunst. Raum und Zeit können hier ebenso frei behandelt werden wie die verschiedenen Materialien, neben Klang, Farbe und Licht sind dies letztlich alle denkbaren Materialien und Objekte, weshalb sich Werke der Klangkunst häufig ganz grundlegend voneinander unterscheiden. Die Offenheit und die Vielfalt an Möglichkeiten, die die Klangkunst auszeichnen, zeigen sich auch in Cees Symphonic Soundscape. Sie nutzt viele dieser Möglichkeiten, angefangen mit der Kombination von visuellem und klanglichem Material über die Erkundung (halb-)öffentlicher Räume mit Hilfe moderner Audiotechnik bis hin zur musikalischen Erkundung historischer Industrielandschaft.

Um Cees symphonische Klanglandschaft genauer zu charakterisieren, möchte ich ihre zentralen Besonderheiten zum Anlass nehmen, um das breite Spektrum aktueller wie historischer Klangkunst vorzustellen. Den Anfang bildet das vielleicht auffälligste Merkmal von de-symphonic, die klangkünstlerische Aneignung der sechsten Sinfonie Beethovens: Die Verwendung von vorgefertigtem Material ist in der Klangkunst ansonsten eher selten anzutreffen.

Gefundene Musik

Anders als in der Konzertmusik, wo seit Charles Ives‘ 2. Sinfonie (1897/1902) oder Luciano Berios Sinfonia (1968/69) Zitatmontagetechniken durchaus vertraut sind, wird in der Klangkunst häufig mit elementaren Klangphänomenen wie Sinustönen gearbeitet oder das konkrete Klanggeschehen vor Ort musikalisch transformiert – die Aneignung fremder Werke stellt hier bis heute ein eher selten genutztes Verfahren dar, was zumindest insofern erstaunt, als die technische Separierung von Klangerzeugung und Klangübertragung, als fundamentales Moment moderner Audiotechnik, auch in den meisten Klanginstallationen vorgefertigtes Material problemlos integriert werden könnte.

Es gibt einige Beispiele für die Verwendung vorgefertigter Musik in Klanginstallationen, das berühmteste ist vielleicht Brian Enos Ambient 1. Music for Airports (1978), ein Konzept aus der Frühzeit der Klangkunst. Zunächst auf Tonträger publiziert, wurde die Idee dieser frühen Ambient music, eine Klanginstallation am Flughafen, erst viel später realisiert. Nicht ganz so bekannt ist Martin Riches‘ Klangskulptur Talking Machine (1989/91), die nicht nur die Ausstellungsbesucher*in erproben und erkunden kann, sondern die auch als Instrument genutzt wird, für das eigene Kompositionen vorliegen. Ein anderes Beispiel ist die auf einer Psalmvertonung für Frauenstimmen beruhende Installation Groß und Klein (1998) von Manos Tsangaris für Fadenorgel. Es handelt sich um ein interaktives Konzept: Die acht hoch im Kirchenraum hängenden, mit Fäden versehenen Aktivlautsprecher ließen sich einzeln nach Belieben aktivieren, so dass immer neue Konstellationen zwischen den von den Lautsprechern übertragenen Teilen der für die Installation elektronisch bearbeiteten und verfremdeten Komposition entstanden.

Fluxus, Happening, Klangkunst

Wie bereits erwähnt, war die moderne Audiotechnik von entscheidender Bedeutung für die Entstehung der Klangkunst. Sie ermöglicht eine vom Interpreten sowie orts- und zeitunabhängige musikalische Aufführungspraxis und eröffnet geradezu ideale Rahmenbedingungen zur Erprobung neuer Formen im Bereich des Musikalischen und Audiovisuellen. Insofern kann die Tendenz zur Erweiterung und Integration unterschiedlicher Gattungen als zentrales Charakteristikum dieser neuen Kunst gelten. Die Klangkunst entstand im Zuge der im 20. Jahrhundert einsetzenden kunstimmanenten Suche nach neuen Aufführungs- und Rezeptionsformen, bei der man die in Oper und Konzert erlernte Fähigkeit gemeinschaftlichen, stillen und konzentrierten Hörens an neue, ungewöhnliche, vor allem aber ungeschützte Orte mitten im modernen Leben transferierte oder aber Konzepte einer anderen Rezeptionshaltung erprobte, wie als einer der ersten Erik Satie mit Musique d’ameublement (1920), einer frühen, noch von Musikern aufgeführten Version heutiger Ambient music.

Das audiovisuelle Konzept der Klangkunst steht für die Idee einer integralen, alle Sinne umfassenden ästhetischen Erfahrung, die im 20. Jahrhundert die alte Einteilung der Künste nach der Eigenlogik der Materialien allmählich untergraben hat. So widersprechen neue Gattungen häufig der Unterscheidung von Raum- und Zeitkünsten. Während zeitbasierte Künste wie Performance oder Videokunst in der bildenden Kunst verortet werden, relativiert sich mit der Klangkunst, in der Raum und Zeit gleichwertige Dimensionen darstellen, die Vorstellung von Musik als Zeitkunst. Wichtigstes Definitionskriterium der Klangkunst ist deshalb die Unabhängigkeit vom Interpreten. Entschiedener als alle anderen neuen musikalischen Erscheinungen hat sie sich zudem vom vertrauten ‚Setting’ der Konzertmusik gelöst und eine neue musikalische Aufführungspraxis außerhalb des Konzertsaals hervorgebracht.

Auf der Suche nach den Anfängen der Klangkunst muss man in die späten 1970er Jahre zurückgehen: Im Umfeld von Performance, Happening und Fluxus wollten damals Künstler wie Terry Fox, Christina Kubisch und Akio Suzuki der Asymmetrie im Verhältnis von Performer und Publikum entkommen. Statt selbst aufzutreten, beschränkten sie sich darauf, mit den gerade neu entwickelten Audiokassettenrekordern Räume akustisch zu bespielen, in denen sich die Besucher frei bewegen konnten. Im Grenzbereich zur bildenden Kunst entstanden auf diese Weise neue musikalische Phänomene, die man zunächst einfach als Klanginstallationen und Klangskulpturen bezeichnete. Der Begriff Klangkunst etablierte sich erst in den 1990er Jahren, zunächst gedacht als Variante zu dem ursprünglich von Edgard Varèse stammenden und später von John Cage erneuerten Vorschlag, den Begriff Musik durch den der Klangorganisation zu ersetzen.

Wollte man anfangs der Vielfalt der musikalischen Erscheinungen und dem neuen Musikverständnis des 20. Jahrhunderts Rechnung tragen, wird der Begriff Klangkunst heute meist pragmatisch gebraucht: Mit der Kombination von Klang und Kunst bezeichnet er audiovisuelle Phänomene im Grenzbereich von Musik und bildender Kunst. Die Utopie einer integralen Kunst schwingt hier noch mit, zudem bietet die Klangkunst dem Grenzbereich zwischen Musik und bildender Kunst einen angemessenen Platz in der musikalischen Gattungssystematik. Dagegen dagegen belegen die anhaltenden Debatten um diesen Begriff die Schwierigkeit, gattungsübergreifende Phänomene in einer eigenen Gattung zusammenzufassen.

Klang als Installation oder Skulptur

Neben moderner Audiotechnik kommen in der Klangkunst häufig auch ganz andere Formen der Klanggenerierung zum Einsatz. Die mit kleinen Gasflammen in senkrecht stehenden Glasrohren erzeugten stehenden Wellen bezeichnet der Hamburger Klangkünstler Andreas Oldörp als „singende Flammen“, wie bei Orgelpfeifen bestimmt sich ihre Tonhöhe proportional zur Länge des Rohrs. Im Raum verteilt, erzeugen Oldörps „singende Flammen“ ein komplexes Gewebe sich überlagernder Klänge. Mario Bertoncinis „Äolsharfen“ bringt allein der Wind zum Klingen. Hingegen können viele der Objekte, die mit Hilfe von Elektronik in klingende Skulpturen verwandelt werden, inzwischen beliebige Bewegungen ausführen oder ihre Position im Raum verändern. Während die Klangobjekte von Robert Jakobsen häufig an surrealistische Objektassemblagen erinnern, wird bei den interaktiven Klangskulpturen von Felix Hess, Ron Kuivila oder Ed Osborn, die sich wie künstliche, geheimnisvolle Kreaturen zu verhalten scheinen, sogar der Objektcharakter undeutlich.

Während der von Max Neuhaus geprägte Begriff „sound installation“ als Vorgänger des Klangkunstbegriffs gelten kann, bezeichnet der Begriff der Klangskulptur ein spezielles klangkünstlerisches Konzept. Klangskulpturen haben häufig traditionelle Musikinstrumente, Saiten-, Blas- oder Perkussionsinstrumente, zum Vorbild; die visuelle Dimension beschränkt sich meist auf die Sichtbarkeit des Klangerzeugungsprozesses. Da die Klänge von der Skulptur in alle Richtungen abstrahlen, steht diese im Zentrum der von ihr erzeugten Raumordnung. Eine besondere Form der Klangskulptur stellen Installationen dar, die den gesamten Raum in einen Resonanzkörper verwandeln, etwa wenn (in Installationen von Terry Fox, Paul Panhuysen oder Alvin Lucier) ein quer durch den Raum gespannter Draht mechanisch oder elektromagnetisch zum Schwingen gebracht wird. Allerdings bezeichnet Bill Fontana seine Installationen, in denen er ganze Klanglandschaften an andere Orte transferiert, ebenfalls als Klangskulpturen.

Für Augen und Ohren

Audiovisuelle Konzepte, die Musik und Bild, Klang und Farbe miteinander kombinieren, sind ähnlich wie für de-symphonic auch für die Klangkunst von zentraler Bedeutung. Seitdem mit dem Spiel der Musiker auch die gewohnte Beschäftigung fürs Auge während des Konzerts entfällt, entsteht Raum für ganz andere, neuartige visuelle Elemente, weshalb die freie Kombination von visuellen und musikalischen Materialien zu den elementaren Konzepten der Klangkunst gehört. Exemplarisch belegen dies Installationen wie die von Christina Kubisch und Rolf Julius. Wenn Kubisch ihre Klänge vorzugsweise durch UV-Licht ergänzt, wirken ihre Installationen wie audiovisuell konzipierte Bilder, in die man hineingehen kann. Demgegenüber spielt Julius in seinen Arbeiten mit Anklängen an Farbfeldmalerei, Minimal und Concept Art, alle seine Materialien behandelt er gleichwertig, zugleich platziert er Klänge wie Farben im Raum. Farbpigmente befinden sich in kleinen Teeschalen oder springen von Lautsprechermembranen hoch, Klänge werden von Lautsprechern mit geringer Reichweite nur wenige Meter weit übertragen.

Während in Installationen von Tilman Küntzel, Jutta Ravenna oder José Antonio Orts Klang und Licht, obwohl parallel geschaltet, von den Besuchern als völlig unabhängig voneinander verlaufende Prozesse erlebt werden, behandelt Cee in de-symphonic Klang und Licht als gleichwertige Materialien und organisiert sie als eigenständige Prozesse: Die Klangübertragung erfolgt ganz traditionell über Lautsprecher, während in der Lichtinszenierung Natriumfluorescein (Uranin) zum Einsatz kommt, ein wasserlösliches Natriumsalz, mit dem sich ein gelber, unter UV- und Tageslicht grün fluoreszierender Farbstoff herstellen lässt.

Exkurs: Klang und Raum

Begünstigt durch die guten Bedingungen, die die Klangkunst mit ihrer offenen formalen Anlage bietet, bilden Installationen, die sich der Erforschung des Klangs mit seinen diversen physikalischen Grundlagen und Eigenschaften widmen, eine wichtige Spielart der Klangkunst. Im Zuge dieser Erforschung hat sich der Raum, bis dahin ein selbstverständliches, aber weitgehend unbeachtetes Moment jeder Aufführung, als zentrales Thema der Klangkunst erwiesen. Da die Klangquellen nach Belieben im Raum verteilt werden können, gehören Raum und Aufführungsort nicht mehr einfach zu den Rahmenbedingungen einer Aufführung, sondern bilden nun einen integralen Bestandteil des zugrundeliegenden ästhetischen Konzepts, im Gegenzug erfährt die zeitliche Dimension eine deutliche Relativierung, es entstehen, wie auch bei de-symphonic zu beobachten ist, ganz neue Strategien der Zeitgestaltung.

Die amerikanische Performerin, Multimedia- und Klangkünstlerin Maryanne Amacher war eine der ersten Künstlerinnen, die sich intensiv mit der Frage des Raums und seiner Bedeutung für den Klang beschäftigt haben. Ihre Kompositionen und Installationen setzen sich mit Raum- und Psychoakustik ebenso auseinander wie mit akustischen Interaktionen zwischen entlegenen Orten. In CityLinks (1967) und Music for Sound Joined Rooms (seit 1980) präsentierte sie ihr Konzept der Audiotelemetrie. Demgegenüber beruhen die Rückkopplungen, die in Nicolas Collins’ Pea Soup (1974) ein sich selbst stabilisierendes Schaltkreissystem in ein fluktuierendes Muster dumpfer Töne transformiert, auf einem räumlichen Klangeffekt, der auch akustische Eigenschaften des Raumes wie Raumresonanzen und Nachhallzeiten reflektiert. Demgegenüber spielt der in der micro-radio-Bewegung aktive Japaner Tetsuo Kogawa mit kleinen Objekten, die durch Radioübertragung akustische Beziehungen zueinander unterhalten. Es sind extrem schwache Sendestationen, die häufig nur im selben Raum gesendet, empfangen und gehört werden können. Zentrale Themen des österreichischen Klangkünstlers Bernhard Leitner sind hingegen die Bewegung des Klangs im Raum sowie durch Anordnung der Klangquellen erzeugte Klangarchitekturen.

Auf Strategien, ein komplexes Beziehungsgeflecht im Raum zu erzeugen, beruht Ulrich Ellers Im Kreis der Trommeln (1996), Alvin Lucier nutzt in Empty Vessels (1997) subtile Rückkopplungen zwischen in leeren Vasen montierten Mikrophonen am einen Ende des Raums und den mit ihnen verbundenen Lautsprechern am anderen Ende. In Directions of Sounds from the Bridge (1978) hingegen macht Lucier mit schallempfindlichen Glühbirnen sichtbar, wie Klänge je nach Frequenz in verschiedene Richtungen abstrahlen. Und Peter Ablinger, der in seinem Schaufensterstück (2004) Klänge und Geräusche durch das Halbtonraster des Klaviers filtert, inszeniert dafür eine musikalische Trennung von Innen und Außen. Draußen herrschen die Geräusche, drinnen der Klang des Klaviers: Im Schaufenster eines Ladenlokals stand ein elektronisch präpariertes mechanisches Klavier und reproduzierte alle draußen hörbaren Geräusche, angefangen beim Kreischen der Straßenbahn über die Stimmen von Passanten bis zu Klangaktionen von Besuchern der Installation. Dafür wurden die akustischen Ereignisse über außen am Schaufenster installierte Mikrophone nach innen übertragen und in Echtzeit mittels einer speziellen Software in das Halbtonraster des Klaviers transformiert.

In urbanen Klanglandschaften

Mit der eigens für diesen Ort entworfenen Klangexplosion verleiht de-symphonic dem Ort, der Architektur und der Landschaft des Landschaftsparks Duisburg-Nord eine ungewöhnliche musikalische Atmosphäre. Damit setzt de-symphonic eine zentrale Strömung der Klangkunst fort, die mit Hilfe moderner Audiotechnik vom Konzertsaal in den öffentlichen oder halböffentlichen Raum auswandert und auf diese Weise der Forderung der Avantgarde-Bewegungen nachkommt, die institutionalisierten Orte der Künste zu verlassen und an der täglichen Lebenspraxis teilzunehmen. An erster Stelle ist hier das in den 1970er Jahren gegründete World Soundscape Project zu erwähnen, in dem sich Klangkünstler und Komponisten wie Muray Schafer und Hildegard Westerkamp der Erkundung städtischer wie natürlicher Klanglandschaften widmen und das mit dem Fieldrecording eine eigene musikalische Strömung hervorgebracht hat.

Eine weitere neue Strömung ist die Klangkunst im öffentlichen Raum: Bereits 1967/68 realisierte der New Yorker Fluxuskünstler Max Neuhaus die Drive-In Music: In den Bäumen des Lincoln Parkway in Buffalo, New York, befanden sich auf knapp 600 Metern 20 leistungsschwache Radiosender. Generatoren vor Ort erzeugten auf einer bestimmten Frequenz unterschiedliche Klangkomponenten, die auf Umgebungsfaktoren wie Geschwindigkeit und Fahrtrichtung des Wagens sowie Tageszeit und Wetterlage reagierten und auf insgesamt sieben sich überlappenden Zonen gesendet wurden.

Bis heute kann man eine andere Installation von Max Neuhaus besuchen: Seit 1977 befindet sich seine Installation Time Square auf einer Verkehrsinsel direkt auf dem belebten New Yorker Platz. Auf diese Verkehrsinsel über einen Lüftungsschacht aus der U-Bahn dringen elektronisch generierte Klänge, die von den Geräuschen solcher Lüftungsschächte kaum zu unterscheiden sind. Weil zudem jeder Hinweis auf die Installation fehlt, halten viele Passanten diese Klänge für Effekte eines technischen Phänomens.

Klangkunst im öffentlichen Raum findet sich aber auch an vielen anderen Orten: Mit Klanginstallationen in der U-Bahn von Montreal wollte Robin Minard in den 1980er Jahren der bereits damals allgegenwärtigen Muzakbeschallung entgegentreten. In Deutschland realisierte Rolf Julius 1993 in einem kleinen Park hinter dem Bremer Hauptbahnhof mit dem Klangbogen die erste permanent eingerichtete Klanginstallation. Nicht nur klanglich, auch visuell sehr spektakulär sind Hans Peter Kuhns Installationen im Stadtraum oder auch in der freien Natur. Die farbigen Lichter, die er an Kränen, Hochhäusern oder, wie 1996 in New York bei The Pier, an eigens aufgebauten Holztürmen installiert, leuchten im Rhythmus der Klänge auf. Wegen ihrer Größe sind diese Installationen in der Lage, die Perspektive auf die gesamte Stadt zu verändern, doch wie bei seinen kleiner dimensionierten Arbeiten, bilden den Kern dieser Installationen subtile Klangfundstücke sowie komplexe Beziehungen, die sich zwischen dem, was man sieht, und dem, was man hört, ausbilden.

Raum-Zeit-Prozesse

Die Gestaltung des zeitlichen Ablaufs gehört zu den größten Herausforderungen, die Cee in seiner Symphonischen Soundscape zu bewältigen hatte. Er selbst beschreibt seine Klanginszenierung als Explosionszeichnung, ein gutes Beispiel für die unterschiedlichen Strategien einer erweiterten Zeitgestaltung in der Klangkunst. Blickt man auf die Geschichte der Klangkunst zurück, dann spielten von Anfang an neben der Verwendung von Audiokassetten und Magnettonbandgeräten auch unmittelbar vor Ort, also in Echtzeit generierte Klangprozesse eine zentrale Rolle. Bereits 1962 entstand La Monte Youngs Konzept Dream House für eine in den Alltag integrierte Installation. Ergänzt durch Marian Zazeelas Lichtinstallation, für die die Fenster mit farbiger Transparentfolie beklebt waren erklang in einem Loft in der New Yorker Church Street zwischen 1966 und 1970 oft mehrere Wochen oder Monate lang 24 Stunden am Tag das mit Generatoren, Oszillographen, Verstärkern und Lautsprechern erzeugte kontinuierliche Frequenzenvironment. Der amerikanische Fluxuskünstler und Komponist emanzipierte sich von traditionellen musikalischen Zeitvorstellungen, indem er die Zeit als eine Dimension der Frequenz interpretierte.

Ein Beispiel dafür, wie sich die Eigenschaften der traditionellen Konzertmusik mit den neuen Möglichkeiten der Klangkunst kombinieren lassen, ist hingegen John Cages 1987 auf der Documenta 8 in Kassel präsentierte Installation Essay. Über 36 regelmäßig an den Wänden des achteckigen Raums verteilten Lautsprechern erklangen 36 Tonbandloops mit Cages elektronisch bearbeiteter Stimme. Die Loops waren unterschiedlich lang, aber nicht synchronisiert; die aus ihrer Überlagerung resultierenden immer neuen Klangkonstellationen wiederholten sich während der gesamten Dauer der Ausstellung nicht. Die formale Anlage der Komposition bleibt für Besucher abstrakt, stattdessen sehen sie sich unmittelbar mit dem gerade aktuellen Klanggeschehen konfrontiert.

Bruce Odland und Sam Auingers interaktive Installationen im öffentlichen Raum beruhen auf Echtzeitprozessen. So harmonisiert die permanente Klanginstallation Sonic Vista (2011) mittels einer live vor Ort erfolgenden akustischen Filterung die aktuelle Klang- und Geräuschkulisse auf der Deutschherrnbrücke in Frankfurt am Main. Wie Werner Cee nutzt auch das amerikanisch-österreichische Klangkünstler-Duo die Verfremdung des Ortes, um das Publikum für dessen Besonderheiten zu sensibilisieren. Eine besondere Form der Sensibilisierung durch Verfremdung betreibt der amerikanische Klangkünstler Bill Fontana: Um der Geschichte eines Ortes nachzuspüren und seine akustische Atmosphäre zu verwandeln, transferiert er ganze Klanglandschaften. So nutzte er für seine Klangskulptur Entfernte Züge (1984), die in den verlassenen Ruinen des Berliner Anhalter Bahnhofs zu hören war, Aufnahmen von Menschen und Zügen im vielgenutzten Kölner Hauptbahnhof.

Im Landschaftspark Duisburg-Nord

Ähnlich wie man die Pastorale, zur gleichen Zeit wie seine fünfte Sinfonie entstanden und auch mit ihr zusammen uraufgeführt, als heiteren Kontrast zur dunkleren Atmosphäre der sogenannten Schicksalssinfonie hören kann, konfrontiert uns de-symphonic im Landschaftspark Duisburg Nord mit dem Zerfall der alten Industrielandschaft. Dafür hat Cee Beethovens Musik in kleinste Fragmente und Partikel zerlegt. Im Landschaftspark gehen sie neue Verbindungen ein, einmal als Resultat von Cees De-Komposition, zum anderen als Effekt der topographischen Situation, in der sich immer wieder Klänge aus verschiedenen Klangquellen überlagern.

Zwischen den bis zu 60 Minuten langen Loops, die Cee für die verschiedenen Stationen komponiert hat, ergeben sich für die Besucher*in mit jedem Positionswechsel neue Konstellationen. Weil diese Loops zudem alle unterschiedlich lang sind, wird man keinen fixen Ablauf finden, der sich irgendwann wiederholen würde. Stattdessen kann man, ähnlich wie in Cages Essay, immer neue Konstellationen des musikalischen Materials entdecken.

Manchmal erinnert de-symphonic an Musik für einen Film. Die Helden dieses Films sind die alten Industriebauten. Allerdings gibt es keine Filmhandlung, wer mag, kann aber bei der Erkundung der 13 Stationen dieser Klanglandschaft, ihrer Klang-, Licht- und Farbakzente und -verläufe sich seine eigene Geschichte erfinden. Aber egal, wie man seine Zeit an diesem Septemberwochenende im Landschaftspark Duisburg Nord verbringt und gestaltet: Mit de-symphonic kann man nicht nur eine subtil verfremdete Pastorale und eine ungewöhnliche Symphonic Soundscape entdecken, sondern auch den Landschaftspark noch einmal neu und ganz anders kennenlernen.

Berlin, August 2020, Prof. Dr. habil. Sabine Sanio


a symphonic soundscape

11.-13. September 2020
Landschaftspark Duisburg-Nord

Eine Symphonie als Klanglandschaft


— Drei Tage und zwei Nächte lang
Fr. 12:00 bis So. 24:00 Uhr
[60 Stunden nonstop]

— Eintritt frei


Interaktiver Plan und Laufwege:
de-symphonic.de/map


— Bitte beachten Sie die Regeln der Coronaschutzverordnung des Landes NRW.